Categories: New York

Wetter und Stimmung sind trüb.

Nach fulminantem Frühstück (die Hälfte davon landete im Zimmerkühlschrank) und ausgedehnten Welness-Aufenthalten im Bad hüpfen wir geschwind in unsere dicksten Sachen und mitgebrachten warmen Wanderschuhe… um bald darauf in zwar freundlich aber durchaus irritierte Gesichter von Gästen und Angestellten im Aufzug und Hotel-Lobby zu blicken. Welch schöner Morgen!

„Ach nee, doch nicht!“, denken wir beim ersten Schritt aus dem Hotel als uns eiskalter Wind den Schneeregen ins Gesicht fegte. „In New York ist Fashion-Week! Ihr Modeverweigerer!“, scheint uns New York zurufen zu wollen. „Noch dazu ist’s viertel nach drei!“. Jetzt ist’s aber gut, wir sind im Urlaub und unser Sortiment an modischen Accessoires ist halt nun mal begrenzt, vor allem bei dem bescheidenen Wetter. Wir hoffen auf besseres morgiges Wetter und stapfen noch gut gelaunt ums Eck.

Reflecting Absence Pool des Südturms.

Ich nehme es vorweg, unsere Stimmung scheint es dem Wetter schnell gleichzutun als ich den Platz des 9/11-Memorials „Ground-Zero“ betrete. Schnell kommen mir die umliegenden Gebäude so unheimlich bekannt vor und natürlich drängen sie Tanja und mir sofort wieder in den Kopf: Erinnerungen an einen Tag der für einige heranwachsende Jugendliche zwar tragisch-bedeutsam ist, den 11. September 2001 jedoch auch nur noch aus ihren Geschichtsbüchern kennen.

Wir machen uns auf zum Reflecting-Absence Pool des Südturms. Wir schauen hinunter auf die Fläche, die einst die Grundfläche des über 415m hohen Gebäudes darstellte. Es wird umrahmt von einem rundumlaufenden Wasserfall, welcher in Form von vier Wasserwänden 9m in die Tiefe stürzt. Es sind damit die größten von Menschen geschaffenen Wasserfälle in den USA. An einigen Stellen sind Blumen in die Namen der 2.983 verstorbenen Menschen gesteckt worden, die hier an nur einem einzigen Tag ihr Leben verloren haben. Uns fällt es nicht schwer darüber nachzudenken, was hier fehlt… unmöglich, dies nicht zu tun. Für mich wirken die großen Wasserbecken der einstigen Zwillingstürme wie zwei kräftige Fußabdrücke eines stolzen Menschen, den der Hass anderer dennoch zu Fall bringen vermochte. Die Gebäude drumherum scheinen dabei wie Zeitzeugen zu kondolieren. Doch nicht ganz… ein Gebäude fällt sofort deutlich auf. Natürlich tut es das, denn es ist das höchste hier: Das One World Trade Center. Es scheint die Antenne auf dem Dach stolz wie eine Fahne der Freiheit zu tragen und an die Stelle der Twin Towers treten zu wollen, es dann aus Andacht und Ehrfurcht jedoch nicht zu tut und kurz davor stehen bleibt. Gänsehaut rennt mir über den Körper, es sollte nicht das einzige Mal heute bleiben.

Mahnende Stahlstreben.

Die Wolkenkratzer decken sich wieder ein mit Wolken und wir beschließen ins nahgelegene Museum in die Tiefe zu steigen. 24$ kostet das, weswegen es bei vielen US-Amerikanern als wahrgenommene Touristenattraktion durchaus in der Kritik steht. Uns ist der Besuch das Geld wert. Der Gang nach unten ist durchaus wortwörtlich gemeint, da wir im Innern auf Fundament-Niveau am World Trade Center und seinem tragischen Schicksal vorbeigeführt werden. Natürlich sind wir uns um der Bedeutsamkeit dieses Ortes sehr bewusst insbesondere für die in diesem Land geborenen Menschen, dennoch befürchtete zumindest ich, dass es vielleicht als ein Art Ausstellung mit Entertainment-Wert konzipiert sein könnte.

Tanja und ich sind uns schnell einig: Unsere Zweifel waren unbegründet. Hier wird mit Bedacht und Behutsamkeit etwas geschaffen, was dem Besucher die Möglichkeit gibt, auf auch auf nur jede erdenkliche Frage zu diesem Tag des terroristischen Massenmords eine Antwort zu bekommen, egal wie grausam die Antwort auch ist. Dennoch finde ich, diese Antworten gehören genau hierher. Die Entscheidung, dies alles sehen, hören und mitfühlen zu können sollte jeder vor diesem Besuch gut bedenken und vor Teilbereichen dieses Memorial Museums immer wieder erneut treffen.

Ich bin nicht sehr nahe am Wasser gebaut, aber ich muss sagen, was dort in Form von über 10.000 Exponaten, Fotos, Videos, Nachrichten-Aufzeichnungen, Telefonat- und Funkmitschnitten dem Besucher präsentiert wird, geht wirklich sehr unter die Haut. Plötzlich erscheint es mir nicht mehr als ob der 11. September 2001 über 15 Jahre vergangen ist, sondern als sei all dies eben erst geschehen. Menschen flüchten nach dem Crash der Flugzeuge aus Verzweiflung mit einem Sprung aus dem Hochhaus in den sicheren Tod. Feuerwehrleute strömen in die Gebäude, um Menschen zu helfen und sollten nie wieder zurückkehren. Ein Familienvater, welcher kurz nach der Entführung eines Flugzeugs noch seine Familie anrufen kann, um letzte Worte zu wechseln. Eine Frau, die ihrem Mann weinend eine Nachricht auf der Voicebox hinterlässt, um ihm nur kurze Zeit vor dem Einschlag sagt, wie sehr sie ihn liebt und doch hofft ihn nochmal in ihre Arme nehmen zu können. Diese Stimmen zu hören, das ist hart. Schwer verkraftbar! Jeder in diesen Räumen ist still, ein Schild an der Wand, welches auf Lärmvermeidung hinweist, wäre dafür nicht nötig gewesen.

Feuerwehr-Truck der Ladder 3

Und doch ist es auch beeindruckend zu sehen, wie stark Menschen sein können. Es gab auch Anrufe mit fester Stimme, die jeden einzelnen zuvor erlebten Tag wertschätzten, Familie und Angehörigen dazu aufriefen sich an sie in Freude zu erinnern und ein fröhliches Leben zu führen. Menschen die sich völlig aufopferten um anderen Menschen zu helfen. Aber der Stolz der Amerikaner sollte dennoch mit der Zeit zurückkehren. In einem kurzen Film wird der Wiederaufbau des Geländes dokumentiert. Angehörige sprechen davon, dass diese Wunde langsam als weniger schmerzhaft aber als nicht weniger wichtig empfunden wird. Diese Narbe sollte gezeigt werden. Hier beim Gang durch die Exponate wird sie sehr sicht- und spürbar, sei es durch tonnenschwere verbogene Metallträger, die abgebrochene Dachantenne oder einen Feuerwagen, der durch herabstürzende Geäudeteile nicht nur sein Führerhaus verlor, sondern auch sämtliche seiner Feuerwehrmänner im Einsatz.

Abgebrochene Antenne des Nordturms.

Ich bin am Ende. Auch mit der Führung und folge Tanja nach draussen, die schon vorher die Ausstellungsräume verlassen hat, weil ihr Intensität der Ausstellung gegen Ende als doch zu schwer verkraftbar erschien. Eines steht jedoch fest: Hier bekommt jedes einzelne Opfer und viele der Helfer an jenem Tag ein Gesicht und eine Stimme und wir finden, sie haben es verdient gesehen und gehört zu werden.

Selbst im Himmel erinnert das ehemalige WTC.

Wir gehen hinaus und stehen wieder direkt am Ort des Geschehens. Die Pool-Beleuchtung strahlt ein helles Viereck in die Wolken zwischen den Hochhäusern. Jetzt kommt der Hunger zurück. In den unterirdischen Räumen des Memorial Museums war daran scheinbar zuvor nicht zu denken. Wir folgen der nahegelegenem Tripadvisor-Empfehlung in Richtung Italien. Im Eataly essen wir etwas und reden über das gerade Erfahrene. Wir entschließen uns, zum Hotel zurückzukehren. Heute ist uns nicht mehr danach, diese Stadt bei Nacht zu erleben. Ein letzter Blick nach oben: Innerhalb kurzer Zeit reißt der Himmel plötzlich auf. Die Wolken scheinen wie durch einen Sog nach oben abzuziehen. Uns wird klar, dass wenn wir hier in diesem Hotel den Morgen des 11.September 2001 erlebt hätten, wir sehr viel Glück hätten haben müssen bis zum Abend überlebt zu haben. Innerhalb weniger Minuten wird der Himmel ganz klar und legen das One World Trade Center vor dem Hintergrund eines Sternenhimmels frei. Gänsehaut… das letzte Mal für diesen Tag.

Unser Hotel in Sichtweite des One World.

Andreas

Wow 5 Wochen!!! Nach der Hochzeitsreise von Tanja und mir vor drei Jahren in Neuseeland dachten wir eigentlich, dass wir nicht wieder die Gelegenheit bekommen würde nochmal ähnlich lange am Stück auf Reisen zu gehen. Doch sie kam erneut und wir werden sie nutzen, um die Ost- und Westküste der USA sowie Hawaii zu besuchen. Es lässt sich kaum beschreiben, wie sehr wir uns darauf freuen.

View Comments

  • Ich kenne diese Blicke. DU musst einfach mal mit Birkenstock-Sandalen durch Verona oder Mailand laufen:):)
    LG
    Conny

Share
Published by
Andreas

Recent Posts

Wie ein Vogel über dem Canyon

Wir haben richtig gut geschlafen, das ist offensichtlich. Normalerweise sind wir nämlich schon deutlich vor…

7 Jahren ago

Von der Wüste in den Schnee

Angenehm warmes Licht fällt durch die Ritzen der Verdunklungs-Vorhänge. Es ist schönes irgendwie anderes Licht,…

7 Jahren ago

…zum einarmigen Banditen!

Ich erkenne Licht durch die Blätter unseren gestern geschaffenen Wäschewalds. Das heißt ein neuer Tag…

7 Jahren ago

Durch das Tal des Todes…

Heute reisen wir ab. Wieder einmal. Nur diesmal fliegen wir nicht, sondern bleiben bei der…

7 Jahren ago

The Warner Brothers give us a ride

Gestern waren wir bei den Universal Studios. Heute geht es zu den Warner Studios. Schon…

7 Jahren ago

Auf der Flucht vor Norman Bates und anderen Untoten

So ein neuer Tag, ein neuer Park... bzw. eigentlich sogar ein alter, denn heute geht…

7 Jahren ago